20. Dezember 2012

Tonhalle St. Gallen

Klingende Bilder

Jean Sibelius (1865–1957)

Karelische Suite Op. 11

Intermezzo – Ballade – Alla marcia

Jonathan C. Meier (*1992)

Die fünf Tageszeiten Op. 1
Uraufführung

Mane – Meridies – Post Meridiem – Vesper – Nox

Max Reger (1873–1916)

Vier Tondichtungen für grosses Orchester nach Arnold Böcklin Op. 128

Der geigende Eremit – Im Spiel der Wellen – Die Toteninsel – Bacchanal

Kennen Sie Karelien? Ich auch nicht. Seit ich mich aber mit der «Karelischen Suite» des bekannten finnischen Komponisten Jean Sibelius befasse, ist mir dieses Gebiet östlich von Helsinki sehr ans Herz gewachsen. Als Sibelius 1893 diese Musik komponierte, gehörte Finnland noch zu Russland. Wie in ganz Europa herrschte aber auch in Finnland zu dieser Zeit ein starkes Nationalbewusstsein. Die «Karelische Suite» ist Ausdruck dieser Aufbruchstimmung und bedient sich dabei mittelalterlicher Bilder: Das «Intermezzo» zu Beginn schildert marschierende Kolonnen in einem Meer von Fahnen, die darauf folgende «Ballade» wird von einem fahrenden Sänger im finnischen Volkston vorgetragen und die abschliessende «Alla marcia» beschreibt die Belagerung einer Burg, die mit dem Sieg der Belagerer endet.

Schon eher als Karelien kennen Sie die prächtige Landschaft rund um die Oberengadiner Seen. Die «fünf Tageszeiten» von Jonathan C. Meier folgen musikalisch den Stimmungen eines Sommertags am Silsersee. Hier eine kurze Zusammenfassung: «Mane» (Morgen) lässt uns das Erwachen der Natur miterleben, in «Meridies» (Mittag) spüren wir die bleierne Mittagshitze, im dritten Satz «Post Meridiem» (Nachmittag) geraten wir in ein Gewitter, «Vesper» (Abend) vermittelt uns die Ruhe nach dem Sturm und schliesslich erfahren wir in «Nox» (Nacht) etwas über die Träume von Mensch und Tier, musikalisch dargestellt in einem Trio zwischen Flöte, Englischhorn und Solovioline.

Monumental und eindrücklich wie die Bilder des in Basel geborenen Schweizer Malers Arnold Böcklin sind auch die vier Tongemälde aus der Feder des deutschen, aus Bayern stammenden spätromantischen Komponisten Max Reger. Das Bild «Der geigende Eremit» gibt ihm die Gelegenheit, einen klanglich subtilen Konzertsatz für Violine und Orchester zu komponieren. Solist ist in unserm Fall unser geschätzter Konzertmeister Gabriel Maurer. Im «Spiel der Wellen» hört man das neckische Geplätscher der Najaden und Meerkentauren, das plötzliche Verschwinden und langsame Wiederauftauchen in einem unendlichen Wellenbad. Die «Toteninsel» ist Böcklins vielleicht bekanntestes Bild. Reger weckt in uns die tieftraurigen, aufwühlenden aber auch besänftigenden Gedanken im Angesicht des Todes.
Das «Bacchanal» wirft zum Schluss alle Schwermut über Bord und nimmt uns mit zu einem rauschenden Fest in der römischen Antike, das in fröhlicher Ausgelassenheit endet.